Todesdrama nach dem Höhenflug
125 Jahre nach dem Absturz von Flugpionier Otto Lilienthal: Am 10. August präsentieren Experten den aktuellen Forschungsstand im Livestream
Vor 130 Jahren beginnt mit Otto Lilienthals ersten erfolgreichen Gleiterversuchen die Ära des Menschenfluges. Fünf Jahre später – nach Tausenden geglückter Gleitflüge – stürzt der Flugpionier am 9. August 1896 mit seinem Normalsegelapparat ab. Am Folgetag erliegt er seinen schweren Verletzungen. Was ist bei dem tragischen Unglück aus technischer Sicht passiert? Welche Auswirkungen hatten Lilienthals Erfindungen und der Absturz für die Entwicklung der Luftfahrt? Diese und weitere spannende Fragen klären Experten vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), vom Otto-Lilienthal-Museum und vom Deutschen Museum am 10. August im Ehrensaal auf der Museumsinsel. Die Diskussion wird mit zahlreichen Bildern und Videomaterial angereichert und live gestreamt - auf dem Youtube-Kanal des Deutschen Museums.
„Ein moderner Ikarus“ ist der große Nachruf auf Otto Lilienthal in der Berliner Illustrierten Zeitung überschrieben. Er endet mit den Worten „... er hat einen festen Grund gelegt, auf dem andere fortbauen können und fortbauen werden. Man wird in weiteren Kreisen seinem Namen ein ehrendes Gedächtnis bewahren.“ Und selbst einer Londoner Zeitung ist der Tod des deutschen Flugpioniers eine Meldung wert: „Out of his Element. A Flying Machine Inventor Killed by Falling a Hundred Feet“, ist da am 12. August 1896 zu lesen. „In der Tat hatte Otto Lilienthal auch schon zu Lebzeiten mit seinen Flugversuchen international Beachtung gefunden“, sagt Bernd Lukasch. Der Experte vom Otto-Lilienthal-Museum liefert eine historische Einordnung zum Leben, dem Umfeld und der familiären Situation von Lilienthal und zeichnet das vorherrschende Zeitgefühl Ende des 19. Jahrhunderts für die Diskussionsrunde im Deutschen Museum nach.
Bei der Analyse des Absturzes kommt Markus Raffel ins Spiel. Der Fachmann vom Institut für Aerodynamik und Strömungstechnik beim DLR hat unter anderem mit verschiedenen Nachbauten die aerodynamischen Grundlagen von Otto Lilienthals Apparaten untersucht. Und das nicht nur bei Beobachtungen im Windkanal, sondern auch als Pilot bei Testflügen an der US-Pazifikküste: „Man hat den Kopf zwischen den Flügeln, als hätte man selbst Flügel bekommen“, beschreibt er seine Erfahrungen. Und ergänzt: „In so einem Gleiter zu fliegen ist sehr anstrengend – Lilienthal muss sehr fit gewesen sein!“ Außerdem ließ sich so auch noch einmal beweisen, dass Otto Lilienthals Konstruktionen tatsächlich voll flugtauglich waren. Raffel ist aufgrund seiner Erfahrungen dazu in der Lage, ziemlich präzise zu erklären, wie es zu dem Absturz gekommen sein muss.
Andreas Hempfer, Luftfahrtkurator des Deutschen Museums, erklärt: „Trotz ansonsten optimaler Wetterbedingungen geriet Lilienthal in eine sogenannte Sonnenböe, einen thermischen Aufwind. Der Gleiter bäumte sich auf, stand kurz in der Luft und stürzte dann zur Seite hin ab.“ Selbst die große Erfahrung Lilienthals konnte ihn nicht vor dem Absturz bewahren. Er hatte zwar zu diesem Zeitpunkt mehr als 2000 Flüge absolviert, aber war zuletzt kaum noch mit dem Normalsegelapparat, sondern vor allem mit dem Doppeldecker geflogen. „Dass er ausgerechnet mit dem Gerät, mit dem er seine ersten Erfolge erzielte, zu Tode gestürzt ist, ist besonders tragisch“, sagt Hempfer.
Im Deutschen Museum hat man lange darüber gerätselt, ob der Gleiter des Museums derjenige ist, mit dem Lilienthal zu Tode gestürzt ist. Aber das hält Hempfer für fraglich: „Höchstwahrscheinlich ist der Absturzgleiter von Lilienthals Bruder nach dem Unfall verbrannt worden – auch die Schäden an unserem Gleiter sind definitiv andere als die, die sich auf den Fotos des abgestürzten Gleiters erkennen lassen.“
Mit der Konstruktion des Absturzmodells ist derzeit auch Charlotte Holzer intensiv beschäftigt. Die Mitarbeiterin des Deutschen Museums restauriert gerade mit ihren Kollegen Matthias Winkler und Patrick Goldbach den originalen Normalsegelapparat aus der Sammlung des Hauses. Es handelt sich dabei um einen von nur noch vier erhaltenen Gleitern, „wobei bei den anderen drei Apparaten nicht mehr viel original ist.“ Allerdings ist auch das Stück aus dem Deutschen Museum in keinem guten Zustand: „Wir möchten aber bei der Restaurierung nicht die Schäden unsichtbar machen, sondern wollen in erster Linie den Verfall aufhalten und das Original konservieren“, sagt Holzer. Schließlich soll dieses technische Meisterwerk künftig wieder den Besucherinnen und Besuchern des Deutschen Museums gezeigt werden.
Dieses Ziel ist auch für Andreas Hempfer ein Herzensanliegen: „Der Normalsegelapparat ist das erste in Serie gebaute Flugzeug überhaupt, ein absoluter Meilenstein der Luftfahrtgeschichte“, sagt der Kurator für Historische Luftfahrt. „Otto Lilienthals Leistung als Forscher und Erfinder holte die Luftfahrt vom Traum in die Wirklichkeit“, so Hempfer: „Ohne seine Arbeit und die der Gebrüder Wright hätte die Luftfahrttechnik wohl keinen so gigantischen Sprung in so kurzer Zeit gemacht.“ Bei der Veranstaltung zum 125. Todestag des Flugpioniers wird er auch Pläne und Briefe aus dessen Nachlass präsentieren. „Die Schätze aus unserem Archiv sind ein weiteres Puzzlestück für das heutige Verständnis des Flugpioniers. Sie zeigen aber auch den ideologischen Missbrauch der Ikone und ermöglichen einen objektiveren Blick auf Lilienthals Leistungen.“
Seine spannende und faszinierende Geschichte vom Höhenflug bis zum Todesdrama wird am 10. August im Ehrensaal des Deutschen Museums lebendig. Die Veranstaltung beginnt um 18 Uhr und wird unter https://youtu.be/2qVwjyHeets auf Youtube (Kanal des Deutschen Museums) live gestreamt.
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Der Normalsegelapparat von Otto Lilienthal nach dem Absturz.
Frei zur Veröffentlichung nur mit dem Vermerk
Foto: Deutsches Museum
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Flugpionier Otto Lilienthal.
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Foto: Deutsches Museum
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Restauratorin Charlotte Holzer arbeitet in einem eigens eingerichteten Schutzraum in der Flugwerft Schleißheim am original Gleiter des Deutschen Museums.
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Foto: Deutsches Museum
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Werkstattzeichnung des Normalsegelapparats aus dem Nachlass Otto Lilienthals im Archiv des Deutschen Museums.
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Foto: Deutsches Museum