Provenienzforschung
NS-Provenienzen
Die Zeit des Nationalsozialismus hat auch in der Sammlung des Deutschen Museums Spuren hinterlassen. So handelt es sich zum Beispiel bei den Raketenfahrzeugen von Max Valier in der Ausstellung Raumfahrt um Schenkungen von Adolf Hitler. Auch hat das Deutsche Museum 1941/42 mehrere Kriegsbeuteobjekte aus Russland, Frankreich und Belgien von der deutschen Wehrmacht übernommen. Da diese (großteils) bereits in der Nachkriegszeit zurückgegeben worden sind, wurde eine genauere Überprüfung der Sammlung auf NS-verfolgungs- bzw. kriegsbedingt entzogene Kulturgüter aber lange nicht als notwendig gesehen.
Provenienzforschung zur Kraftfahrzeugsammlung
Ein erster Anlauf zu einer systematischen Überprüfung der Sammlung auf mögliches NS-Raubgut wurde 2010 in Kooperation mit dem Technischen Museum Wien mit einem Provenienzforschungsprojekt zur Kraftfahrzeugsammlung gemacht. Die Sammlung wurde in wesentlichen Teilen in der NS-Zeit aufgebaut. Bei einem Viertel der heute noch vorhandenen Autos, Motorräder und Motoren mit Baujahr bis 1945 stufte das Projekt die Herkunft als unbedenklich ein. Bei den anderen war die Provenienz anhand der vorhandenen Unterlagen nicht mehr genauer zu ermitteln.
Analysen zur Herkunft eines Jagdflugzeugs
Eindeutiger fiel das Ergebnis der Untersuchungen aus, die 2020 an einem Jagdflugzeug Fokker D.VII von 1918 vorgenommen wurden. Das in der Flugwerft Schleißheim ausgestellte Flugzeug gehört zu einer Reihe von Exponaten aus der Deutschen Luftfahrtsammlung Berlin, die das Deutsche Museum nach Kriegsende über die amerikanische Militärregierung erhalten hat. Seit Entfernung eines nicht-originalen deutschen Tarnanstrichs im Jahr 1980 war bekannt, dass das Flugzeug ursprünglich aus dem Bestand der niederländischen Marine stammte. Die 2020 im Rahmen einer konservierungswissenschaftlichen Masterarbeit durchgeführten Analysen ergaben, dass es sich mit hoher Wahrscheinlichkeit um ein Flugzeug aus der Sammlung des Nationalen Luftfahrtmuseums der Niederlande handelt, das nach der deutschen Besetzung der Niederlande 1940 vom NS-Regime verschleppt worden ist.
Erstcheck der Objektzugänge 1933-1945
2021 wurden die Erwerbungen zwischen 1933 und 1945 einem systematischen Erstcheck auf verdächtige Zugangsdaten unterzogen. Dazu wurde die Sammlungsdatenbank automatisiert mit einschlägigen Namenslisten wie der ALIU List of Red Flag Names abgeglichen, auf kritische Institutionen und Begriffe geprüft und kursorisch auf verdächtige Ankäufe und Schenkungen von Privat gesichtet. Dabei hat sich gezeigt, dass es bei einer mindestens dreistelligen Zahl von Exponaten zumindest Verdachtsmomente für eine mögliche Provenienz aus NS-Kontexten gibt. Im Fall eines 1942 zugegangenen russischen Vorhängeschlosses hat sich dieser Verdacht bereits erhärtet.
Ein problematischer Nachlass
Für den Zeitraum nach 1945 steht ein systematischer Erstcheck noch aus. Mit Sicherheit näher zu überprüfen ist jedoch die umfangreiche Kunst-, Antiken-, Mineralien- und Musikaliensammlung des 1978 verstorbenen Pforzheimer Maschinenfabrikanten Max Bühler, die das Deutsche Museum 1995 als Vermächtnis erhalten hat. Da Bühler in anderem Kontext nachweislich zu den Profiteuren der "Arisierungen" in Baden-Württemberg gehörte, ist eine genauere Provenienzrecherche unerlässlich.
Nächste Schritte
Um den Verdachtsfällen weiter nachzugehen und die begonnenen Recherchen fortzuführen, hat das Deutsche Museum 2023 eine aus Eigenmitteln finanzierte Projektstelle eingerichtet:
Literatur zum Weiterlesen:
- Hellfritzsch, Ron / Groß, Sören / Mappes, Timo (Hrsg.) 2022: Technisches Kulturgut. Zirkulation, Ansammlungen und Dokumente des Entzugs zwischen 1933 und 1945. Stiftung Deutsches Optisches Museum, Jena.
- Klösch, Christian 2015: Inventarnummer 1938. Provenienzforschung am Technischen Museum Wien. Edition TMW 4. Wien.