In Hoc Signo: Jesuiten in der Forschung
Von Astronomie über wissenschaftsgeleitete Interpretation biblischer Erzählungen bis zu technisch innovativen Gedanken: Die Jesuiten forschten am Puls ihrer Zeit.
Wer glaubt, dass jesuitische Literatur höchstens in theologischen Bibliotheken ihren Platz finden, irrt gewaltig: Bereits seit den Anfängen des katholischen Ordens (Gründung: 1540) stand die Aufforderung seines Gründers Ignatius von Loyola (1491–1556), sich den Dingen dieser Welt ad maiorem Dei gloriam (zur höheren Ehre Gottes) zuzuwenden. In diesem Punkt wich die Societas Jesu (SJ) in vielerlei Hinsicht von anderen Orden ab: weder Habit, noch Klausur im Kloster sollte das Leben der Mitglieder prägen, sehr wohl aber die Bildung und auch eigene Forschung. Mit militärischer Effizienz und streng hierarchischer Ordnung machte sich die Speerspitze der Gegenreformation daran, die Welt zu erkunden und kannte dabei nur das Papsttum und die eigene Doktrin als (einflussreiche) Grenze.
Dem sind bereits zu Lebzeiten des Gründers Jesuiten nachgekommen und begaben sich nicht nur auf Missionsreise, sondern gründeten überall auf der Welt Missions- aber auch Bildungseinrichtungen, Kollegien und Universitäten. Zwar ist es von der Wissensvermittlung zur Wissensgenerierung noch ein gewisser Schritt, den nicht alle Ordensbrüder vollzogen haben. Allerdings verdienten sich einige den Respekt der Wissenschaftsgemeinschaft und dies auf sehr unterschiedlichen Feldern.
Die moderne Geschichtswissenschaft hinterfragt bereits seit einigen Jahrzehnten das von namenhaften Denkern der Aufklärung propagierte Bild der Rückwärtsgewandtheit jesuitischer Forschung und betont dabei, dass es sich bei der Societas nicht etwa um eine in mittelalterlicher Scholastik gefangene Gegnerin des Fortschritts, sondern auch um eine Partnerin des wissenschaftlichen Diskurses gehandelt hat. Einige Beispiele aus der Sammlung Libri rari der Bibliothek mögen dies verdeutlichen und die Vielfalt jesuitischer Forschung illustrieren. Der Schwerpunkt liegt hierbei im 17. Jahrhundert:
Die Mondkarte des Giambattista Riccioli (1598–1671): Meilenstein der Selenographie
An kaum einem Gebiet lässt sich jesuitischer Forschungsgeist so trefflich nachweisen wie an der Astronomie. Dass es sich hier um ein Top-Thema der Frühen Neuzeit handelt, lässt sich durch einen Blick auf Diskussionen des Zeitalters nachweisen – als Stichworte seien hier die Gregorianische Kalenderreform oder die Auseinandersetzung um Galileo Galilei (1564–1642) und das heliozentrische Weltbild genannt. Bereits das Frontispiz vom Giambattista Ricciolis Almagestum Novum (1651, siehe Katalogeintrag) illustriert diesen Streit der Theorien, denn es zeigt, wie kopernikanisches (heliozentrisches) gegen Ricciolis geozentrisches Weltbild abgewogen wird. Dabei obsiegt das Modell von Riccioli, während ein drittes, das antike ptolemäische (Erde als Mittelpunkt des Kosmos), an der Seite der Szene abgelegt wurde.
Riccioli war Dozent u.a. für Theologie und Philosophie, wandte sich später ausschließlich der Astronomie zu und stand mit zahlreichen Größen der Wissenschaft in Kontakt. Für die Kartographie des Mondes, um die er sich im Anschluss an die Forschungen Hevelius‘ verdient gemacht hat, sind diese Fragen von geringer Bedeutung. Seine Leistung in Kartographierung und Nomenklatur ist in der Mondkarte dokumentiert, die Benennung der von seinem eigens eingerichteten Observatorium in Bologna aus gesichteten Formationen ist maßgeblich geworden.
„Der letzte Mann, der alles wusste“: Athanasius Kircher (1602–1680) und der Turmbau zu Babel
Zentrum der Welt war für die jesuitische Wissenschaft naturgemäß Rom, wo das Jesuitenkolleg (Collegium Romanum) unter Gregor XIII. zu einer päpstlichen Universität umgewandelt wurde. Namenhafte Forscher wie Christophorus Clavius (1538–1612) – dieser maßgeblich an der Kalenderreform beteiligt – waren Abgänger und später Professoren. Zur Gregoriana gehörte auch die vom deutschen Jesuiten Athanasius Kircher zusammengetragene Sammlung, das Museum Kircherianum. Von anderen Verpflichtungen zurückgestellt, konnte sich Kircher hier ganz der Forschung widmen. Er selbst war Professor für Mathematik, Physik und orientalische Sprachen, seine Interessensgebiete lagen jedoch in barocker Universalgenie-Manier ebenfalls auf den Gebieten des Magnetismus, Optik, Ägyptologie, Astronomie, Mathematik, Chemie... In Rom konnte er mittels eines tatsächlich weltumspannenden Netzes an Wissenschaftlern und Jesuitenbrüdern in zahlreichen und reich ausgestatteten Werken seine Erkenntnisse publizieren. Weitere Hinweise zu Kircher und einem seiner Werke finden sich hier.
In seinem Turmbau- und Architektur-Werk (Turris Babel, Sive Archontologia, 1679, siehe Katalogeintrag) geht Kircher den durchaus innovativen Weg, sich die biblische Überlieferung eines Turms, der bis in den Himmel reicht, mittels seines naturwissenschaftlich-technischen Wissens zu ergründen. Selbstverständlich ist es nicht Anliegen des Jesuiten, die Grundaussage der Heiligen Schrift zu wiederlegen: Vielmehr legt er nach Klärung aller notwendigen Details wie der notwendigen/möglichen Anzahl der Arbeiter zu diesem historischen Zeitpunkt nach der Sintflut dar, warum Gottes Eingreifen notwendig war. Denn nur dies verhinderte das Ende der Schöpfung, welches durch das geniale, aber gottlose Vorhaben der Babylonier, verursacht worden wäre. Die Quintessenz ist durch einen Blick auf den prachtvollen Stich aus dem Werk ersichtlich: Selbst wenn auf der Erde genügend Rohstoffe für einen derartigen Bau vorhanden gewesen wären und man die von Kircher errechneten 3426 Jahre mit rund 4 Millionen Arbeitern gebaut hätte, hätte das Vorhaben auch bei geozentrischem Blick für den Kosmos katastrophale Folgen gehabt: Schattenwurf und Gewicht des Bauwerks hätten die Klimazonen der Welt bzw. ihre Stellung im Zentrum gefährdet.
Caspar Schott (1608–1666): Von Giraffen und Monstern
Ebenfalls dem Kreis Kirchers zuzuordnen ist der Würzburger Jesuit Caspar Schott und mit diesem teilte er die Begeisterung für die experimentelle Physik Otto von Guerickes, über welche er an unterschiedlichen Stellen berichtete. Schott wurde nach Studium in Palermo Professor am Würzburger Gymnasium und folgt wie Kircher, dessen Werke er im deutschen Raum verbreitete, dem Ideal des Universalgelehrten. Insbesondere die Technik, aber auch Naturphänomene stehen im Zentrum seines Interesses. Wie für die Zeit des Dreißigjährigen Krieges nicht ungewöhnlich lassen sich hierbei Weltanschauung, Mythen der Überlieferung und exakt Beobachtetes schwer voneinander trennen: in seinen Physica curiosa (1662, siehe Katalogeintrag) finden sich entsprechend Beschreibungen und Illustrationen sowohl von Dämonen und Monstern als auch von tatsächlich existenten, aber der europäischen Welt wenig bekannten Tieren wie der Giraffe. Somit legt der Jesuitenpater Schott ein eindrucksvolles Zeugnis für barocken Universalismus und die Orientierung der Darstellung am Kuriosem ab.
Des Kaisers Astronom: Ferdinand Verbiest (1623–1688) in China
Im Anschluss an die Entdeckungsfahrten der Frühen Neuzeit sind jesuitische Missionare weltweit unterwegs gewesen, einer der Gründungsväter des Ordens, Francisco de Xavier (1506–1552) steht hier als eine Verkörperung dieses Prinzips: Festigung des Glaubens durch dessen weltweite Ausbreitung. Kam der heilige Franz Xaver jedoch nichts bis auf das chinesische Festland, waren Nachfolger erfolgreicher. Es gelang ihnen, ihre Mitglieder aufgrund ihrer vielfältigen Kenntnisse am Kaiserhof Peking als Vertreter Europas und wissenschaftliche Berater des Kaisers zu etablieren. Einer von ihnen war der Flame Ferdinand Verbiest, der in Löwen studiert hatte und passend zum späteren Nutzen umfassend in Coimbra in Astronomie und Mathematik unterwiesen wurde. Trotz der sehr wechselhaften Beziehung der chinesischen Herrscher zu „ihren Jesuiten“: Verbiest war als Leiter des kaiserlichen Kalenderamts –und kurioserweise der Kanonengießerei – hoch angesehen und verfügte über die Mittel, sich die Sternwarte in Peking nach seinen Vorstellungen auszustatten.
Bereits aufgrund seiner Form ist der Liber organicus astronomicus (1673/74, siehe Katalogeintrag) eine Besonderheit, denn es handelt sich nicht um einen Codex, sondern um einen (inzwischen auseinandergenommenen) Leporello von großen Tafeln, welche unter anderem das Observatorium des Kaiserhofs und seine Geräte abbilden. Ein Teil der Instrumente können nach einer wechselhaften Geschichte auch heutzutage noch vor Ort betrachtet werden – ein eventuell erwartetes Teleskop sucht man allerdings vergebens.
Sind die Betrachtungen Verbiests auf dem Kerngebiet jesuitischer Forschung reichhaltig, so lässt es sich jedoch nicht auf diese beschränken. Und so finden sich passend zu weiteren Interessens- und Aufgabengebieten wie dem Bau oder der Landvermessung auch technische Darstellungen und Geräte in seinem Werk, wenn auch das ihm zugeschriebene erste Automobil darunter leider nicht abgebildet ist.
Francesco Lana de Terzi (1631–1687): Der Traum vom Fliegen
Der ehemalige Assistent Kirchers begeisterte sich neben der Naturphilosophie insbesondere für Chemie und Physik. Besonders die Magdeburger Vakuumexperimente beeindruckten auch ihn nachhaltig und da er zudem ein besonderes Interesse an der Entwicklung von Maschinen hatte, kann er in gewisser Weise als Wegbereiter der aerostatischen Revolution gelten. So findet sich im Prodromo Ouero saggio di alcune inuentioni nuoue premesso All'Arte Maestra des Italieners (1670, siehe Katalogeintrag) sein Entwurf eines Luftschiffs, welches mittels Vakuum-Kupferkugeln von der Erde abheben sollte. Zwar war die Herstellung entsprechender Kugeln technisch zu Terzis Zeit noch nicht möglich und auch der auf die Kugeln wirkende Luftdruck hätte ein Abheben verhindert, aber die Faszination für das Fliegen sollte der Menschheit erhalten bleiben.
Abschluss und Ausblick
Jesuitische Forschung fand nicht mit dem 17. Jahrhundert ihr Ende: Bis zur Aufhebung des (alten) Jesuitenordens im Jahre 1773 im Zeitalter der Aufklärung blieben die „schlauen Jungs“ – so die volksmundliche Deutung des Kürzels S.J. – oder: einzelne ihrer Mitglieder in der Wissenschaft anerkannter Gesprächspartner, obgleich die Bedeutung für naturwissenschaftlichen und technischen Fortschritt tendenziell gegenüber anderen in den Hintergrund trat. Doch obwohl in der jüngeren Neuzeit auch ordensintern das (aus)bildende Element vor dem forschenden an Bedeutung gewann: Die in den Anfängen des Ordens gelegte weltweite Infrastruktur ist bis heute wirksam geblieben und fanden beispielsweise mit dem Astronomen Angelo Secchi (1818–1878) oder dem Paläontologen Teilhard de Chardin (1881–1955) bis in unsere Zeit bekannte Stimmen.
Christian Winkler
Literaturhinweise
Tina Asmussen/Lucas Burkart/Hole Rößler/Frederik Furrer (Hrsg.), Theatrum Kircherianum. Wissenskulturen und Bücherwelten im 17. Jahrhundert. Wiesbaden 2013, zum Katalogeintrag.
Maria Teresa Borgato (Hrsg.), Giambattista Riccioli e il merito scientifico dei gesuiti nell'età barocca. (Biblioteca di Nuncius, Bd. 44). Firenze 2002, zum Katalogeintrag.
Mordechai Feingold (Hrsg.), Jesuit science and the republic of letters. (Transformations). Cambridge, Mass. 2003., zum Katalogeintrag.
Markus Friedrich, Die Jesuiten. Aufstieg, Niedergang, Neubeginn. München, Berlin, Zürich 2016, zum Katalogeintrag.
John W. Witek (Hrsg.), Ferdinand Verbiest. (1623 - 1688). Jesuit missionary, scientist, engineer and diplomat. (Monumenta Serica : Monograph series, Bd. 30). Nettetal 1994, zum Katalogeintrag.
Ulrike Wegener, Die Faszination des Maßlosen. Hildesheim, Zürich, New York 1995, zum Katalogeintrag.